Interview des Monats - Gesundheitsstadt Berlin

Prof. Dr. Dr. Peter M. Schlag, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Centers und Vorsitzender der Berliner Krebsgesellschaft, über zielgerichtete Tumortherapien und Krebsmedikamente der neuen Generation
Herr Professor Schlag, ein Zauberwort in der Krebsmedizin heißt individualisierte Therapie. Was ist das eigentlich genau?
Schlag: Ich finde den Begriff individualisierte Tumortherapie etwas unglücklich gewählt, weil er impliziert, man hätte früher alle Patienten nach Schema F behandelt. Natürlich sind wir schon immer auf den einzelnen Patienten eingegangen, auf sein Tumorstadium, auf seine Begleiterkrankungen und auch auf seine Wünsche. Was mit dem Begriff "individualisierte Tumortherapie" gemeint ist, ist, dass man jetzt so genannte Zielmoleküle im Tumorgewebe definieren und diese mit neuen Medikamenten gezielt angreifen kann, um das Tumorwachstum zu blockieren. Daher finde ich den englischen Ausdruck "targeted therapy", also zielgerichtete Therapie, wesentlich treffender.
Was kann zielgerichtete Therapie heute leisten und vor allem bei welchen Krebserkrankungen?
Schlag: Bei vielen Tumorerkrankungen sind schon zahlreiche solcher Ziele bekannt. Das ist zum Beispiel beim Brustkrebs, Dickdarmkrebs, Lungenkrebs, Leukämie und bei bestimmten Weichgewebssarkomen der Fall. Wir haben aber noch längst nicht für alle bekannten Ziele auch zugelassene Medikamente. Ein weiteres Problem ist, dass wir es bei einem Tumor nicht nur mit einem Ziel zu tun haben, sondern mit einem ganzen Netzwerk von Zielen, das noch nicht bis ins Detail erforscht ist. Das heißt: Wenn man ein oder zwei Moleküle blockiert, kann sich die Tumorzelle andere Wege der Proliferation oder der Metastasierung suchen, und diese "Umwege" kennen wir noch nicht.
Die Erforschung des Dickdarmkrebses ist eines Ihrer Steckenpferde. Was bedeutet zielgerichtete Therapie bei dieser Tumorentität?
Schlag: Mit neuen Substanzen können wir heute beim Dickdarmkrebs die epidermalen Wachstumsfaktoren gezielt blockieren. Hierdurch sind beim metastasierten Dickdarmkarzinom Behandlungserfolge zu verzeichnen, die noch vor zehn Jahren für undenkbar gehalten wurden. Wir wissen inzwischen auch, dass die Blockade nur dann Sinn macht, wenn nicht weiter unten in der Informationsstraße eine Störung vorliegt, nämlich in dem so genannten KRAS Molekül. Wenn dieses Molekül mutiert ist, nutzt die Blockade nichts mehr. Indem man solche Zielmoleküle auf ihren Mutationsstatus hin untersucht, kann man vorhersagen, ob die Therapie überhaupt eine Chance hat. Dadurch bleiben vielen Patienten unnötige Therapien erspart.
Wir reden über Antikörpertherapie?
Schlag: Nicht nur. Der Eingriff in die Informationswege der Tumorzellen kann an ganz verschiedenen Stellen stattfinden. Wenn Sie an der Zelleoberfläche blockieren wollen, geht das am besten mit Antikörpern. Wenn Sie die Rezeptoren im Zellinneren blockieren möchten, was teilweise auch notwendig ist, dann geht das nur mit kleinen Molekülen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Medikamente, die nicht nur die Informationswege blockieren, sondern zum Beispiel auch die Durchblutung des Tumors beeinflussen.
Sind denn noch weitere zielgenaue Medikamente in der Pipeline?
Schlag: Etliche zielgenau wirkende Substanzen werden derzeit klinisch erprobt. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir bald weitere Krebsmedikamente zur Verfügung haben werden, dass wir sie noch besser kombinieren können und dass sich dadurch die Überlebenszeiten weiter verlängern lassen. Der Behandlungserfolg kann aber von Tumor zu Tumor sehr unterschiedlich sein, das heißt, nicht bei jedem Krebs werden diese Medikamente in gleicher Größenordung durchschlagen.
Die neuen Substanzen kosten viel Geld, andererseits lassen sich durch ihren zielgenauen Einsatz auch unnötige Therapien vermeiden. Wie wirkt sich das auf die Kostenseite aus?
Schlag: Unnötige Therapien, auch wenn sie kostengünstig sind, sind kostentreibend. Hier kann man durch zielgerichtete Therapien Kosten sparen, das ist richtig. Man könnte jetzt aber weiter argumentieren und sagen: Wenn der Patient länger lebt, dann braucht er noch weitere Therapien und dadurch wird alles noch teurer. Sie sehen, dass wir hier ganz schnell an unsere Grenzen geraten. Obwohl viel darüber geredet wird, ist die existenzielle Frage, was wir eigentlich erreichen wollen, in unserer Gesellschaft nicht geklärt: Wollen wir die Überlebenszeit verlängern, wollen wir nur "Qualys", also gute Lebensjahre, wollen wir nur Schmerzen lindern oder wollen wir alles? Natürlich wollen wir immer alles, aber das hat seinen Preis.
Drängt sich die Frage auf, ob wir den Preis dafür bezahlen wollen ….
Schlag: Wenn sich Politik und Gesellschaft darauf einigen möchten, Medizin nur noch unter Kostenaspekten zu betrachten - okay. Aber dann muss man das auch klar formulieren und bereit sein, die Konsequenzen zu tragen. Mit allen Einschnitten. Meiner Meinung nach ist in unserem System ein Webfehler drin. Medizin und die Behandlung Kranker sind zu einem großen Business geworden. Das widerspricht der ureigensten ärztlichen Tätigkeit.
Zur ärztlichen Tätigkeit gehört mehr als die Behandlung nach Leitlinien. Was heißt für Sie als Arzt individualisierte Tumortherapie, um noch mal auf den Beginn unseres Gesprächs zurückzukommen?
Schlag: Ich denke, es ist die ganzheitliche Betrachtung des Patienten, in die auch seine persönlichen Vorstellungen und sein psychosoziales Umfeld hineinspielen. Das alles gilt es bei der Therapieentscheidung zu berücksichtigen, darf aber nicht zu einer Ausrede werden, nach dem Motto: Der Patient wollte nicht operiert werden. Es kann nicht sein, dass am Ende die Mehrzahl der Patienten nur noch irgendeine Therapie bekommt, und nur ein Bruchteil so therapiert wird, wie es dem eigentlichen Standard entspricht. Alle Aspekte gegeneinander abzuwägen, um gemeinsam mit dem Patienten zu einer für ihn optimalen Therapieentscheidung zu kommen, genau darin liegt die ärztliche Kunst.
Interview: Beatrice Hamberger
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Quelle: Gesundheitsstadt Berlin
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